Das zweite Gesicht: Yotaphone 2

(30.12.2014 17:50 CET)

Es ist selten, dass ein Smartphone mich noch wirklich faszinieren kann. Keine Frage, es gibt Highlights, aber am Ende sind doch die meisten Geräte über den Daumen sehr ähnlich. Quadcore-Prozessor, Full HD-Display, eine gute bis überragende Kamera, vielleicht mal ein Fingerabdrucksensor, aber in den vergangenen Monaten war es manchmal schon eine Herausforderung, noch angemessen überrascht und begeistert zu sein. Schon vor einiger Zeit hatte ich die Ankündigungen des Yotaphones mit Interesse verfolgt, in der sicheren Gewissheit, einmal mehr Vaporware zu sehen. Da war zwar nicht ganz der Fall, aber zur Anschaffung hatte es dann ob der nicht wirklich positiven Kritiken nicht gereicht. Um so interessierter war ich, als die ersten Yotaphone 2-Rezensionen hochkamen, und konnte mich dann nach Vorregistrierung direkt bei Verfügbarkeit in Deutschland davon überzeugen, ob das Yotaphone 2 wirklich etwas besonderes ist.

Ich will hier gar nicht detailliert auf die technischen Daten eingehen, die sind auf der offiziellen Seite und in diversen Tests hinlänglich beschrieben, und erst einmal nun nicht sooo besonders, wenn man sie mit anderen Highend-Smartphones vergleicht. Wichtig ist mir die Anwendung des Gerätes. Das Besondere des Yotaphones ist die Tatsache, dass es neben dem hervorragenden 5 Zoll FullHD AMOLED Front-Display ein zweites ePaper Display auf der Rückseite hat. Dies war auch schon beim Vorgänger der Fall, allerdings sehr eingeschränkt: Die Auflösung war zu gering, die Apps und Widgets, die darauf zu nutzen waren, zu eingeschränkt, alles in allem "Nett gedacht", aber auch nicht mehr. Und hier hat Yota Devices definitiv die Hausaufgaben gründlich und durchdacht gemacht, denn die Kritikpunkte sind deutlich angegangen worden.

Das ePaper (Electronic Paper-) Display auf der Rückseite löst mit 960x540 Pixel ordentlich auf und hat mit 16 Graustufen genug Möglichkeiten, Inhalte auch ohne Farbe lesbar darzustellen. Hinzu kommt, dass es Multi-Touch-fähig ist und damit wie gewohnt per Streichen, Pinch&Zoom und Wischen zu bedienen ist. Die gerundete Oberfläche der Corning Gorilla Glass3 Scheibe auf der Rückseite ist matt, was dem Eindruck eines Kindle oder anderen eReaders entgegen kommt und natürlich einen großen Vorteil hat: Das ePaper-Display ist sowieso schon darauf ausgelegt, im Hellen gesehen zu werden, denn es ist nicht beleuchtet. Durch die matte Scheibe empfiehlt es sich aber eben vor allem auch für den Einsatz im grellen Sonnenlicht, wo jedes AMOLED-, IPS- oder LCD Display seine Probleme bekommt. Und da dieser Display-Typ keinen Strom verbraucht, wenn er darstellt, sondern nur, wenn ein neues Bild aufgebaut wird, bleiben Inhalte dort auch erhalten, wenn der Akku des Gerätes leer ist. Und natürlich benötigt die Anzeige eines eBooks dann ebenfalls keinen Strom. Oder zumindest fast: Im Gegensatz zu einem echten eBook-Reader laufen auf dem YotaPhone 2 als Smartphone natürlich diverse Prozesse im Hintergrund, die Strom verbrauchen, am Ende kann das ePaper-Display nur bei der Darstellung Strom sparen und nicht den Stromverbrauch des Smartphones im Gesamten herunterfahren.

Was mich absolut fasziniert, ist die umfassende Bedienwelt, die das YotaPhone 2 bietet. Im Standard wird der hintere Bildschirm dazu genutzt, Informationen darzustellen. Dazu gibt es einmal die YotaPanels, vier konfigurierbare Bildschirme, die wie die Homescreens von Android selbst mit Informationen gefüllt werden können. Caveat: Hier handelt es sich alleine um von Yota mitgelieferte Widgets, die Standard-Android-Widgets lassen sich hier nicht verwenden. Das ist zum Teil zu verschmerzen, denn eine Vielzahl von wichtigen Dingen ist hier schon im Standard-Lieferumfang mit dabei: Email, Uhren, SMS, Anrufe, Kontakt-Shortcuts, Twitter, der RSS-Reader YotaRSS (der sich erfreulicherweise mit Feedly verknüpfen lässt) und vieles mehr. Was mir definitiv fehlt, ist eine "timeline", die Facebook (oder Facebook und Twitter) auf einer ganzen Seite kontinuierlich aktualisiert. Überhaupt: Die Idee ist nicht schlecht, verschiedene Raster zu bieten und darin dann die Widgets zu platzieren, nur sind viele Widgets leider nur in bestimmten Größen verfügbar. E-Mail oder RSS maximal für den halben Bildschirm, gerade das aber wären Informationen, die ich auf dem hinteren Display kontinuierlich im Vollbildmodus durchlaufen lassen würde. Hier ist definitiv noch Luft nach oben. Das soll aber nicht davon ablenken, dass es geniale Usability ist, sein Telefon auf dem Hauptdisplay liegen lassen zu können und ohne Einschalten auf dem aktuellen Stand zu bleiben!

Wer sein Gerät liegen lässt und vermeiden möchte, dass schützenswerte oder private Informationen versehentlich einem Unbeteiligten offenbar werden, der kann stattdessen das YotaCover nutzen. Das ist nichts anderes als ein Hintergrundbild, das entweder frei gewählt werden kann, oder als Karussell aus den Instagram- oder Facebook-Alben in festen Abständen gewechselt wird. Auf Wunsch lässt sich darauf dann noch die Zahl der neuen Anrufe, SMS, Mails und sonstigen Benachrichtigungen anzeigen. Prima überlegt, aber mit einem kleinen Makel: die Einstellungen für die Art der Benachrichtigungen (so kann beispielsweise für neue Nachrichten ein Banner mit dem Inhalt angezeigt werden) gilt für Panel UND Cover. Hat man also die Banner eingeschaltet, dann werden diese auch auf dem eigentlich "geheimeren" YotaCover angezeigt. Das kann aber schnell mit einem Update geändert werden...

Für die aktive Verwendung des ePaper-Displays gibt es dann zwei Möglichkeiten: In jeder App kann über die Home-Taste auf dem Bildschirm mit einem Wischen nach links entschieden werden, diese auf das hintere Display zu schieben. Die App läuft dann normal weiter, nutzt nur eben den stromsparenderern und sonnenlichttauglicheren hinteren Bildschirm. Nun sollte man nicht erwarten, damit Spiele spielen oder Videos anschauen zu können. Technisch ist das zwar möglich, rein praktisch aber spricht die naturgemässe Trägheit des eInk/ePaper-Bildschirms schon dagegen. Und auch das Display des Yotaphone 2 ist nicht von einem gewissen Ghosting befreit: Teile der angesteuerte Pixel werden erst vollkommen freigegeben, wenn das Display einmal neu aufgebaut wird. Das ist besonders bei bewegten Bildern erkennbar, aber auch bei der im Standard angezeigten analogen Uhr, bei der die Minutenzeiger "Spuren" hinterlassen. Wechselt man einmal den Inhalt, indem man auf eine andere Seite geht oder eine andere App startet, kurz: Wenn der Bildschirminhalt einmal komplett neu aufgebaut wird, dann ist alles wieder gut. Es passiert sporadisch, es stört nur marginal, aber der Effekt ist trotzdem da.

Zurück zu "´YotaMirror", dem Spiegeln von Apps auf den Rückenbildschirm: Das macht absoluten Sinn, wenn man wenig wechselnde Inhalte konsumiert: Sei es nun (wie im Screenshot weiter oben) das Lesen eines eBooks, die Navigation, das Lesen von RSS-Feeds und Nachrichten: Hier zeigt das Yotaphone 2 seine Stärken. Und man muss es wahrscheinlich praktisch erlebt haben, wie viel Produktivität und Bedienspass das bringt.

Zu giter Letzt macht sich Yota einmal mehr die Stromunabhängigkeit des ePaper-Displays zu Nutze: Ebenfalls aus jedem Android-Bildschirm kann ein Screenshot auf das hintere Display gelegt werden. Man denke sich nur folgende Situation: Das Handy ist am Ende seines Akkus, und man muss noch schnell Einkaufen oder zu einer Adresse gelangen. Stirbt der Akku, dann war es das... nicht aber beim YotaPhone 2: schnell die Einkaufsliste oder die Adresse auf den Bildschirm geholt, auf den hinteren Bildschirm gespiegelt, und dann ist es egal, was mit dem Akku ist. Auch wenn das Gerät ausgeht, dann bleibt der Inhalt des ePaper-Displays vorhanden und lesbar.

In der Praxis komme ich mit einer guten Mischung von normalem und e-Paper-Display auf gute zwei Tage Laufzeit bei recht intensiver Benutzung. Würde ich das hinetre Display noch mehr einsetzen, dann wären die vom Hersteller engegebenen drei Tage durchaus ein machbarer Wert.

Das YotaPhone 2 ist ein Monoblock-Gerät mit fest verbautem Akku und der einen oder anderen weiteren Einschränkung: in seiner schlanken Form ist jeder Millimeter in Breite, Tiefe und Höhe genutzt, was unter anderem dazu führt, dass der nano-SIM-Karten-Slot sich unvermutet in den Lautstärkereglern findet. Diese Information kann helfen, die eine oder andere Minute verwirrt jeden Quadratzentimeter des Gerätes abzusuchen... :D Diese hohe Integration führt allerdings auch dazu, dass weder ein Wechselakku noch ein micro SD-Slot vorhanden sind. Gerade letzteres ist eine ewige Diskussion: mir reichen 32GB mehr als aus, um meine Apps, Navi-Karten, Musik und Videos für unterwegs unterzubekommen. Brauche ich tatsächlich mehr Speicher, dann habe ich ein Tablet oder ein Notebook mit dabei. Für den ein oder anderen Anwender aber ist das sicherlich ein Thema. Für EUR 700,- (gemessen an Android-Standards ein Premium-Preis) erwartet der ein oder andere mehr, vor allem, wenn er die Summe von HTC M8 und Kindle rechnet und deutlich darunter liegt. Das aber ist eine Fehlkalkulation: Leistungsfähiges Smartphone plus eReader in ein Gehäuse zu bringen, das ist signifikant mehr Aufwand, als zwei Geräte zu produzieren... und das schlägt sich nun mal im Preis nieder. Das YotaPhone 2 ist kein Schnäppchen... aber meiner Meinung nach jeden Cent wert.

Einzig echter Kritikpunkt ist für mich die Kamera. Hier merkt man deutlich, dass die Zahl der Pixel nicht gleichzusetzen ist mit der Qualität der Optik. Die Bilder sind (gerade in schlechteren Belichtungssituationen) körnig, verwaschen, die Farben nicht echt. DAS nach Weihnachten ausgerollte Update, das unter anderem die Kameraqualität verbessern sollte, hat hier ein wenig Abhilfe geschaffen, aber es besteht immer noch Nachholbedarf.

Preis:

EUR 699,- direkt, im Einzelhandel beispielsweise bei Saturn.

Fazit:

Ich habe selten einen solchen Spass an einem Smartphone gehabt wie am YotaPhone 2. Sicher, es ist Android und damit - zumindest für meinen Geschmack - nicht das optimale OS. Allerdings hat Yota hier die richtige Entscheidung getroffen: Das YotaPhone 2 basiert auf nahezu unverändertem Vanilla Kitkat (Android 4.4). Keine unnötigen Apps, Widgets, Launcher, die das Gerät träge machen. Akzeptiert man die Eigenarten von Android, dann kann man sich damit gut anfreunden.

Das Monoblock-Design ohne Sensor-Tasten oder anderen Schnickschnack lässt das Gerät gut in der Hand liegen, es wirkt edel und ist tatsächlich hervorragend verarbeitet. Das ePaper-Display ist auf den ersten Blick ein nettes Gimmick, in der täglichen Anwendung später aber eine Bereicherung, die einen Unterschied macht.

Keine Frage: Es ist mit EUR 699,- arg teuer, und es ist nicht perfekt. Meine drängendsten Wünche an Yota:

- (weitere) Verbesserung der Kameraqualität
- neue und skalierbare Widgets für den AlwaysOn-Bildschirm, vor allem Timeline (inkl. Facebook!) und Emails ganzseitig
- Möglichkeit, systemübergreifend einen AutoRefresh des AlwaysOn-Bildschirms zu setzen, um automatisch die Artefakte loszuwerden
- detailliertere Konfigurierbarkeit der Nachrichten auf YotaCover und YotaPanel
- Zubehör wie Taschen und Bumper
- Update auf Android 5.0/Lollipop

Aber ehrlich: das sind Luxuswünsche... auch im Status Quo ist das Yotaphone 2 ein Gerät, dass eine Menge Spass und Produktivität bringt.

Private Anmerkung: Dieser Test ist mit meinem selbst zum vollen Preis gekauften Gerät erstellt worden und in keiner Art und Weise von Yota gespronsort. Nur, bevor mir jemand was unterstellt... :)

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